Ein Erlebnisbericht zum Thema Küstenschutz

Morphologie, Haushaltspläne, Bauarten, Strömungsverhältnisse – wer sich als Journalist mit dem Thema Küstenschutz befassen muss, der entwickelt mit der Zeit einen vielseitigen Wissensschatz. Dieser bewegt sich irgendwo zwischen (Bau-)Ingenieur, Jurist, Meteorologe und Finanzfachmann. Diese sehr interessante Erfahrung habe ich in jüngster Zeit gemacht. Denn, ja , unser Berufsstand muss sich auch in einer Zeit, in der die Covid19-Pandemie das öffentliche Leben stillstehen lässt, mit anderen Themen befassen. Oder sollte ich vielleicht besser sagen: Unser Berufsstand darf sich mit anderen Themen befassen? Denn einmal nicht auf den Corona-Virus zu schauen, ist eine echte Erholung.

„Sabine“ lässt grüßen

Aber zurück zum eigentlichen Thema, dem Küstenschutz. Wie sich vielleicht der eine oder andere Leser dieses Blogs erinnert,Sturmtief Sabine. Innerhalb von vier Tagen wurde die deutsche Nordseeküste von mehren Sturmfluten heimgesucht. Sie taten im Prinzip das, was eine Sturmflut gewöhnlich tut: Sie rissen Land von den Inseln ins mehr. Allerdings war das Ausmaß bei „Sabine“ so massiv, dass Wangerooge, die zweitkleinste der ostfriesischen Inseln, den kompletten Badestrand, ihren Hauptstrand, einbüßte. Auch die Nachbarinsel Langeoog wurde ziemlich gerupft: Dort wurden Teile des Strandes und sogar Teile der Dünen abgetragen.

Die ostfriesischen Inseln sind den Naturgewalten ausgesetzt. Fotos: Buschmann

Welche Auswirkungen dies auf die (Insel-)Gemeinden hat, ist meine Aufgabe herauszufinden – einen entsprechenden Auftrag habe ich von der DEMOKRATISCHEN GEMEINDE, dem Fachmagazin für Kommunalpolitik aus dem Vorwärts-Verlag, bekommen. Was anfangs aussieht wie ein Auftrag, der vor allem Telefon- und Internetrecherche erfordert, entwickelt sich bereits nach wenigen Stunden zu einer sehr viel größeren Geschichte – siehe oben.

Termintetris

Mir wird klar: Über Schäden eines derartigen Ausmaßes zu schreiben, ohne sie selbst in Augenschein zu nehmen, geht nicht. Also vereinbare ich ein Treffen mit dem Bürgermeister der Inselgemeinde Wangerooge, Marcel Fangohr, für den 11. März. Schon die telefonische Absprache mit der freundlichen Mitarbeiterin der Gemeinde ist eine Art Termintetris. Denn wer nach Wangerooge möchte und ein eher erdgebundener Mensch wie ich ist, muss sich nach den Fahrplänen der Fähre richten. Die jedoch ändern sich täglich, weil Wangerooge nicht wie zum Beispiel Borkum, unabhängig von der Tide zu erreichen ist.

Wangerooges Bürgermeister Marcel Fangohr zeigt mir das freigelegte Deckwerk.

Es ist ein sonniger Tag, der erste wirklich schöne nach Beginn des meteorologischen Frühjahrs. Marcel Fangohr und ich treffen uns in einem der Besprechungszimmer der Kurverwaltung – Blick auf den Hauptstrand und das Meer inklusive. Schnell wird mir klar: Der Mensch versteht sein Handwerk. Und an der richtigen Stelle sitzt er auch. Marcel Fangohr ist nämlich gelernter Wasserbauingeneur. Er hat Ideen für die Wiederherstellung des Wangerooger Hauptstrandes, an die ich als Laie bislang nicht gedacht habe. Der Bürgermeister spricht über die Veränderung der Insel-Morphologie, Strömungsverhältnisse, die Inseldrift. Und noch ein Wort bleibt mir ab sofort in Erinnerung: Deckwerk.

Die Morphologie der Insel(n)

Nach einer halben Stunde schwirrt mir ein bisschen der Kopf. Ich kann meine Gedanken besser ordnen, als wir den Strand ablaufen und Marcel Fangohr mir anhand mehrerer Beispiele zeigt, was er überhaupt meint. Nun begreife ich – mit Deckwerk ist der Unterbau des Strandes gemeint. Dazu verwenden die Fachleute Beton oder massive Steine. Das Deckwerk schaut an einigen Stellen des Hauptstrandes unter dem nur noch wenig vorhandenen Sand hervor.

Ramponierte Buhnen: Sieht interessant aus, dient aber nicht dem Küstenschutz.

Am Ende des Lokaltermins sind acht Seiten meines Blocks vollgeschrieben und etwa 20 Fotos auf dem Chip meiner Kamera: Schaden mit Bürgermeister, Schaden ohne Bürgermeister, Seestimmung, freigelegtes Deckwerk und so weiter. Eine Woche später sortiere ich meine Aufzeichnungen. Doch das ist erst der Anfang meiner Recherche.

Faktenpuzzle und Fragen

In den folgenden Tagen muss ich viele einzelne Puzzleteile zusammenbringen. Hierzu wühle ich mich durch „Generalpläne“ des Landes Niedersachsen für den Küstenschutz allgemein sowie die Inseln speziell. Aber auch die gerade verabschiedeten Haushaltspläne Niedersachsens und des Bundes wollen gelesen werden. Zugegeben, ich lese nicht die kompletten jeweils knapp 3000 Seiten durch. Vielmehr schaue ich mir die sogenannten Einzelhaushalte mit ihren zugehörigen Produktgruppen an.

Bis zu dieser Markierung muss der Strand wieder mit Sand aufgefüllt werden.

Habe ich das gemacht, stelle ich Fragen. Meine Adressaten sind der Landkreis Friesland, zu dem die Insel Wangerooge gehört, der Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), bei dem der Küstenschutz angesiedelt ist. „Na toll“, denke ich beim Studieren des Zahlenwerks aus Berlin, „wieder so eine Binnenland-Nase, die beim Stichwort Nordseeküste maximal auf Klaus & Klaus kommt.“

Was sagen die Redaktionen?

Vor allem aber beschäftigt mich die Frage, ob ich meine Antworten in angemessener Zeit bekomme. Denn auch die Pressestellen sind natürlich von der um sich greifenden Corona-Pandemie betroffen. Am Ende aber klappt alles. Meine Geschichte hat fast 10.000 Zeichen – zuviel, aber gerade ausreichend für so ein vielschichtiges Thema.