Warum nicht?

Alle Welt diskutiert darüber, ob Annalena Baerbock das Zeug zur Bundeskanzlerin hat. Vorstellen kann ich es mir.

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet (…).“ Diese geflügelten Worte schrieben Karl Marx und Friedrich Engels an den Anfang des „Manifest der Kommunistischen Partei“ von 1848. Manch einer denkt sich jetzt vielleicht: Aha, der Buschmann hat sich radikalisiert. Der ist voll nach links abgedriftet! Denen sage ich: Ihr liegt völlig falsch. Für mich sind die Worte von Karl Marx und Friedrich Engels eine Zustandsbeschreibung des Vormärz von 1848.

Aber Geschichte soll sich ja in gewissen Abständen wiederholen. So kommt es mir auch knapp drei Monate vor der Bundestagswahl 2021 vor. Das „Gespenst“ ist in dieser Epoche aber nicht der Kommunismus, sondern die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Also müsste das Zitat in aktueller Form heißen: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Annalena Baerbock. Alle Mächte des alten Deutschland haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet (…).“

Unsägliche Propaganda

Klar, sie hat in den vergangenen Wochen einige böse Fehler gemacht – von einer lückenhaften Biografie über ihr Buch bis hin zum Benutzen des N-Wortes. Falls jemand nicht im Bilde ist: Das N steht für Neger. Für Baerbocks Gegner sind all dies natürlich mehrere gefundene Fressen, um die Frau zu verhindern. Kampagnen gegen sie gibt es derzeit ja zuhauf; am schmutzigsten ist wohl die der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gegen die Grünen-Kandidatin.

Als ich die Kampagne wahrnahm, fielen mir zuerst Internet-Trolle und die AfD ein. Umso schockierter war ich, dass ein deutscher Lobbyverband sich so etwas leistet. Mich erinnert dies an die Angriffe der Medien des Imperiums von Alfred Hugenberg auf die demokratischen Institutionen während der Weimarer Republik. Nicht umsonst wird er in der Geschichtsschreibung auch als Steigbügelhalter von Adolf Hitler bezeichnet.

Wählerwillen akzeptieren

All diejenigen, die jetzt gegen Frau Baerbock schießen, scheinen wirklich Angst vor eben jenem Gespenst einer Grünen-Kanzlerin zu haben. Ich frage mich: Warum eigentlich? Sollte Annalena Baerbock wirklich Kanzlerin werden, ist dies das Ergebnis demokratischer Wahlen. Das werden eben jene Lobbyisten wohl oder übel akzeptieren müssen. Auch wenn sie keine oder nur wenig Führungserfahrung hat: Auf solch einem Posten wird sie diese schneller machen als sie selbst gucken kann.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Guido Westerwelle: Der verstorbene langjährige FDP-Vorsitzende war ebenso belächelt worden, als er im Jahr 2009 seinen Posten als Bundesaußenminister antrat. Doch schon nach wenigen Monaten hatte er sich auf dem internationalen Parkett Respekt verschafft. Und selbst unsere scheidende Bundeskanzlerin musste sich anfangs Häme gefallen lassen. Mit ihm und seiner Partei werde es nie eine Große Koalition unter einer Kanzlerin Merkel geben, verkündete ein arroganter, gerade von den Wählern abgestrafter Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder im Fernsehen.

Koalition und Abstriche am Programm

Und dann ist da noch die harte Regierungsrealität, der sich Frau Baerbock wird stellen müssen. Alleine schon aufgrund der Umfragen werden die Grünen nicht alleine regieren können – ohne eine Koalition geht es also nicht. Es liegt in der Natur der Sache, dass Kompromisse mit dem Partner gefunden werden müssen und die Grünen somit programmatische Abstriche machen werden.

Unterm Strich heißt es also: Immer locker bleiben. Oder wie der Volksmund weiß: „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Zwar glaube ich nicht, dass es Frau Baerbock wirklich ins Kanzleramt schafft. Sollte es doch klappen und die Wähler unzufrieden sein, haben sie nach vier Jahren immer noch die Möglichkeit, die Grüne und ihre Partei abzuwählen.