Gebt ihnen Verlässlichkeit
Fast eine Woche lang war ich in der Lausitz – Zeit genug, um den Menschen zuzuhören. Mein Fazit: Damit sie das Ende des Braunkohleabbaus weiter mittragen und das Vertrauen in die Politik nicht verlieren, brauchen sie Verlässlichkeit.
Fast eine Woche Lausitz – das ist eine knappe Woche unter Menschen, die ein bisschen anders ticken als ich es gewöhnlich in Bremen erlebe. Sich selbst gegenüber sind die Leute hier zwischen Cottbus, Welzow und Spremberg zurückhaltender als üblich. Aber sie sind in der Regel auch kritischer, insbesondere gegenüber der Politik. Will heißen: Sie beobachten genau, was in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam, vielmehr aber noch in Berlin geschieht. Das war schon nach der Wende so und hat sich noch einmal verschärft, seit klar ist: 2038 soll Schluss sein mit dem Braunkohleabbau ihrer Verstromung.
Damit bin ich direkt bei der Frage, die die Leute hier umtreibt: Bleibt es wirklich beim Ende 2038? Oder kommt das Ende schon viel eher, etwa 2030? Dafür, dass das Zeitfenster immer kleiner wird, hat in den vergangenen Wochen die Diskussion über die sich verschlimmernde Klimakrise gesorgt. Statt beim von der parteiübergreifenden sogenannten Kohlekommission beschlossenen Endpunkt zu bleiben, trieb Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock eine neue Sau durchs Dorf: Sie fordert das Ende der Braunkohleverstromung in neun Jahren.
Von Kopfschütteln bis Schock
Damit hatte Frau Baerbock eine Welle losgetreten, die die Menschen hier in der Lausitz kalt erwischt hat – und die die Grünen-Spitzenfrau wohl nicht sieht oder nicht sehen will. Das Ende der Braunkohle schon 2030 wäre innerhalb von einer Generation der dritte große Einschnitt der Lausitzer. Mit der Wende und dem Ende der DDR brachen innerhalb weniger Monate tausende von Arbeitsplätzen weg, ganze Straßenzüge in den Städten und Dörfern wurden sozusagen arbeitslos.
In der Folge zogen die gut ausgebildeten jungen Leute fort, die die Region wahrscheinlich für den Strukturwandel hätte gut gebrauchen können – zurück blieben die weniger Qualifizierten, deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt nachgewiesenermaßen nicht die besten sind. Die Lausitz begann zu vergreisen. Ein Stück dazu beigetragen haben sicherlich die damals gezahlten Fortzugsprämien. Einhergehend damit machten die Behörden hier und da Druck.
Der nächste Schock
Von einst 115.000 Arbeitsplätzen 1989 sind bis heute gut 10.000 geblieben – 8.000 in der Lausitz, der Rest im mitteldeutschen Tagebau. Alleine für die Lausitz gilt: An den 8.000 vom Ende der Braunkohle direkt betroffenen Arbeitsplätzen hängt noch einmal die gleiche Anzahl indirekt Betroffener; bei Zulieferern zum Beispiel. Diesen Schock des Abbaus, der sich durch mittlerweile zwei Generationen zieht, hatten die Menschen gerade einigermaßen verdaut, da kam die nächste schlechte Nachricht: Schluss mit der Förderung in 2038. Die von Deutschland mit unterzeichneten Vereinbarungen zum Klimaschutz verlangen es so.
Auch diese Kröte haben die Menschen in der Lausitz meiner Wahrnehmung nach mehr oder weniger geschluckt. Und jetzt noch einmal auf was Neues einstellen? Bei vielen Leuten ist die Geduld am Ende – mit fatalen Folgen. Waren die Leute gegenüber „denen da oben“ sowieso schon immer skeptisch, droht jetzt ein massiver Vertrauensverlust in unsere Demokratie.
Stimmengewinner und -verlierer
Dies schlägt sich direkt im Stimmverhalten der Leute bei der Kommunal-, Landtags- und bei der Bundestagswahl nieder. Bestes Beispiel dafür ist der Wahlkreis 64 – Cottbus-Spree-Neiße. Nach aktuellen Prognosen wird es am 26. September ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Kandidaten der AfD, Daniel Münschke, und Maja Wallstein von der SPD geben. Das Portal election.de hat errechnet, dass die AfD mit 25 Prozent der Erststimmen vor der SPD mit 23 Stimmen liegt.
Die CDU liegt demnach abgeschlagen bei 19 Prozent. Fatal daran ist, dass die Christdemokraten den Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2017 mit 28,4 Prozent gewannen. Auf Platz zwei lag mit 25,3 Prozent schon die AfD, gefolgt von der SPD mit 17 sowie der Linken mit 15,7 Prozent. Damals wie heute bekommen die Grünen in der Lausitz kein Erststimmen-Bein an den Boden.
Rechter Rand versus Perspektiven
Die AfD gewinnt die Stimmen der Lausitzer, indem sie ihre bekannten Positionen vertritt: Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Kündigung des Pariser Klimaschutz-Abkommens und beenden der „Energiewendepolitik“, wie die Partei schreibt. Was ich in den Tagen vor Ort erfahren habe: Münschke, zurzeit noch Landtagsabgeordneter, bietet wenig bis keine Perspektiven für die Lausitz an. Ich spekuliere also, dass es ihm in typischer AfD-Manier darum geht ein „Wir und die Anderen“ zu erzeugen.
Dabei tut sich in der Lausitz schon etwas – wenn auch nicht so laut. Neue Strukturen entstehen eher leise, vielleicht zu leise. Da ist zum Beispiel das „Praxislabor für Kraft- und Grundstoffe aus grünem Wasserstoff“, das PtX Lab Lausitz. Es ist eine Gründung der Zukunft-Umwelt-Gesellschaft, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums tätig ist. Auch das Wasserstoffnetzwerk Lausitz, zu dem sich die Industrie- und Handelskammer Cottbus, das Centrum für Energietechnologie Brandenburg (Cebra) und das Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Zittau zusammengetan haben, arbeitet an der Zukunft der Region. Und beim Cottbuser Bahnausbesserungswerk sollen 1.200 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
Jetzt endlich die Menschen
Zugegeben, das liest sich beeindruckend. Was jetzt fehlt, ist eine vernünftige, für alle verständliche Kommunikation – von Kommunen, Land, Bund, Kammern und so weiter. Sagt den Menschen in der Lausitz endlich, was sie zu erwarten haben! Sorgt dafür, dass sie etwas Verlässliches haben und treibt nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf!
Meine Erfahrung: Nur dann, wenn die Lausitzer motiviert werden und Vertrauen in die eigene Zukunft haben, wird der Strukturwandel gelingen. Dafür aber müssen sich die Akteure der brandenburgischen Landespolitik und des Bundes vor Ort sehen lassen. Es reicht längst nicht, dass sich die jeweiligen Abgeordneten für ihre Wähler starkmachen. Bei dem Strukturwandel, der den Lausitzern vor der Brust steht, hilft nur das gute alte Alle-Mann-Manöver.