Das ist klassischer Lokaljournalismus: Vorstellung des neuen Kulturprogramms in Syke. Foto: Buschmann

Ich werde hier und da mal gefragt: „Unterscheidet sich der Journalismus auf dem Land eigentlich von dem in der Stadt?“ Die Antwort von mir kommt hin und wieder zögerlich. Am Ende sage ich meistens: „Im Großen und Ganzen nicht, aber in Nuancen schon.“ Auf dem Land ist noch mehr Verein und Schützenfest. In der Stadt – auch in der kleinen – fallen die Themen schon urbaner aus.

Auf dem Land wie in der Stadt geht es im Laufe des Jahres um Straßenbau und Verkehr, um Migration, um wirtschaftliche Entwicklung, um Bildung und um genug Kitaplätze. Im Gegensatz zur Stadt sind die Menschen allein schon aufgrund der Größe der Ortschaften näher dran am jeweiligen Thema. Da kann es schneller passieren, dass der geneigte Lokaljournalist beim Wochenend-Einkauf oder beim Ausflug mit der Familie auf das eine oder andere Ding angesprochen wird.

Was ich allerdings in den vergangenen Tagen festgestellt habe: Schützenfeste sind gerade in den kleinen Ortschaften das beherrschende Thema. Und wehe, die Presse war nicht vor Ort. Dann folgen die Anrufe der Vereinsvertreter. Denn die Schützenfeste zu besetzen gehört in vielen Bereichen noch immer zum lokaljournalistischen Narrativ. Dabei ist es egal, dass die Abläufe seit Jahrzehnten die gleichen sind.

Ganz anders verhält es sich da mit der Kultur. Dieser Bereich ist in der kleineren (Kreis-) Stadt genauso vertreten wie in der großen Stadt. Das beste Beispiel: Die Stadt Syke stellt ihr neues Kulturprogramm vor. Es ist ein Mix aus bekannten Showgrößen, aus Kabarett, aus Lesungen und so weiter. Was nämlich kaum einer weiß: Die kleinen und mittleren Städte gehören heute zwingend genauso zum Tourneeprogramm von Comedians und Co. wie die Metropolen. Insofern treffen sich Stadt- und Landjournalismus am Ende wieder.

Die Weser soll für größere Schiffe ausgebaggert werden. Foto: Buschmann

Umwelt-Was? Umweltgerechtigkeit! Als mich meine Redakteurin der DEMO vor einigen Wochen bat, mir doch bitte über das Thema Gedanken zu machen, musste ich Grundlagenrecherche betreiben. Ehrlich gesagt: Ich hatte vorher von diesem Begriff gehört noch mich damit befasst. Inzwischen bin ich schlauer. Umweltgerechtigkeit hat das Umweltbundesamt in eine Definition gefasst und lässt sich hier nachlesen.
Themensuche
Das Wissen über Umweltgerechtigkeit heißt indes nicht, dies auch in ein griffiges Thema zu fassen. Ich überlegte hin und her, dann hatte ich es: Was ist eigentlich mit der Weser- und Elbvertiefung? Immerhin sind es in Bremen und Hamburg große Themen. Aber auch in Brake und Hannover, soweit es die Niedersachsen betrifft. Was ist mit den Folgen, die die Menschen entlang beider Flüsse zu tragen haben? Gehen durch die Vertiefungen vielleicht Existenzen kaputt? Müssen sich die Gemeinden an Elbe und Weser auf neue Lagen einstellen?
Meine Redaktion in Berlin gab grünes Licht und ich habe mich an die Recherche machen können – und die hat es in sich. So viel habe ich nach Gesprächen mit Betroffenen und Klägern, mit Umweltschutz-Verbänden und Kommunalpolitikern gelernt: Anstatt sich über eine gemeinsame Hafenstrategie Gedanken zu machen, sollen die beiden Flüsse auf Teufel komm heraus ausgebaggert werden.
Mulmiges Gefühl

Die Folgen für die Menschen an den Ufern treten in den Hintergrund. Was ist, wenn salzhaltigeres Wasser durch die höhere Fließgeschwindigkeit der Weser in die Marsch getragen wird? Was wird aus den Obstanbaugebieten im Alten Land? Was geschieht mit dem Gebiet um den Belumer Außendeich, das kein Vorland hat? Diese Fragen beschäftigen mich bei meiner Recherche und machen irgendwie ein mulmiges Gefühl.
Wie genau es sich damit verhält, ist nach den Sommerferien in der DEMOKRATISCHEN GEMEINDE zu lesen.

Ich konnte an den Brandherd relativ nah herankommen. Foto: Buschmann

Es begab sich aber, dass an einem Sonnabend die Sirene heulte. Schnell waren die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr zur Stelle und am Einsatzort. Was im ersten Moment wie eine konstruierte Geschichte anmutet, ist Realität. Ich habe es selbst so erlebt. Es war wieder eine dieser Geschichten, die das Journalistenleben schreibt.
Pfingstsonnabend, 19. Mai 2018. Ich bin für das OSTERHOLZER KREISBLATT beim Aufstellen des Pfingstbaums in Garlstedt. Das Runddorf gehört zur Stadt Osterholz-Scharmbeck. Es ist ein netter Abend. Die Besucher genießen das kleine Spektakel zum Aufstellen des Baumes und die anschließende amerikanische Versteigerung. Die 527 Euro, die am Ende zusammenkommen, fließen in die Erhaltung des Alten Kühlhauses. Alle Fakten sind „im Block“, wie wir Journalisten es nennen. Kamera und Schreibmappe sind im Rucksack verstaut – der Feierabend ist nahe.
Doch dann heult die Sirene über dem Gerätehaus der Ortsfeuerwehr auf. Die Mitglieder brauchen zum Teil nur über die Straße laufen, andere kommen mit dem Auto. Keine fünf Minuten nach dem Aufheulen der Sirene rückt das erste Auto aus. „Schau mal, dort hinten steigen Rauchwolken auf“, sagt einer der Besucher. Das verheißt nichts Gutes! Auch ich sehe meinen Feierabend in weitere Ferne rücken.
Ich folge den Einsatzkräften. Jetzt heißt es für mich in mehrfacher Hinsicht Vorsicht walten zu lassen: An erster Stelle muss ich darauf achten, mich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Dann darf ich den Einsatz der Feuerwehr nicht behindern. Unter dem Strich bedeutet es für mich, dass ich mich nicht ungehindert an der Einsatzstelle bewegen darf.
Unachtsamkeit kann für mich unangenehme Folgen haben: Sollte ich mich verletzen, hat der Kostenträger – in dem Fall die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft – das Recht, meine Behandlungskosten abzulehnen. Aber auch die rechtlichen Konsequenzen sind nicht zu unterschätzen, denn ich bewege mich zwischen Einsatzkräften, die in dem Moment des Einsatzes hoheitsrechtliche Aufgaben wahrnehmen. Dafür kann mir die Polizei zum Beispiel einen Platzverweis aussprechen.
Soweit lasse ich natürlich nicht kommen, im Gegenteil: Ich habe in fast 30 Jahren Lokaljournalismus ausreichend Erfahrung gesammelt, um zu wissen, wie ich mich zu verhalten habe. Außerdem habe ich in 13 Jahren Katastrophenschutz-Tätigkeit auch die sprichwörtliche andere Seite des Tisches kennengelernt.
Entsprechend vorbereitet bin ich auf die Situation: Ich nähere mich mit der Kamera in der Hand dem Brandherd, soweit es mir möglich ist. Ein Feuerwehr-Mann gibt mir ein Zeichen: Bis hierhin und nicht weiter. Ich entferne mich wieder. Ich warte also in gebührendem Abstand, was geschieht und gehe nach einer halben Stunde noch einmal in Richtung Einsatzgeschehen. Ein Polizist kommt auf mich zu und fragt freundlich: „Sind Sie von der Presse?“ Ich bejahe seine Frage. Er möchte meinen Presseausweis sehen. Ich zeige ihn vor. Alles ist in Ordnung.
In diesem Moment kommt der einsatzführende Stadtbrandmeister von Osterholz-Scharmbeck auf mich zu. Er bietet mir an, mich näher an das Geschehen heranzuführen. Über ein benachbartes Grundstück darf ich mich in Begleitung dem Ort des Geschehens nähern. Jetzt sehe ich das ganze Dilemma: Aus einem Gastank schießt einen meterhohe Stichflamme. Ich mache schnell meine Fotos und entferne mich dann zügig.
Ich beschließe jetzt, kurz vor Mitternacht und nach knapp zwei Stunden vor Ort, mich auf den Heimweg zu machen. Zwischendurch habe ich per SMS meine diensthabende Redakteurin informiert. Bereits jetzt weiß ich, dass der folgende Pfingstsonntag anders verlaufen wird als geplant. Zusätzlich zum Lokaltermin – Maimarkt in Osterholz-Scharmbeck – muss ich einen längeren Text über die Einsätze der Feuerwehr schreiben.
Denn an diesem Abend brennt es nicht nur in Garlstedt. Als ich zuhause ankomme, schickt mir meine diensthabende Redakteurin: In Osterholz-Scharmbeck hätten gerade die Sirenen geheult. Ob ich etwas über den Grund wisse. In diesem Moment weiß ich noch von nichts. Erst als ich am Vormittag mit dem ebenfalls bei zwei der Brände anwesenden Kreisbrandmeister telefoniere, wird mir das ganze Ausmaß klar: Im Landkreis Osterholz hat es in der Nacht von Sonnabend auf Pfingstsonntag fünf Mal gebrannt.
Nach Absprache mit meiner diensthabenden Redakteurin schreibe ich deshalb einen längeren Text für die Online-Ausgabe des OSTERHOLZER KREISBLATT. Der Grund: Die Tageszeitung wird erst wieder am Dienstag erscheinen. Die Leser sollen jedoch möglichst aktuell über das Geschehen informiert werden. Am späten Nachmittag ist der Text online mit drei Fotos zu lesen. Meine Kollegin kürzt ihn für die Druckausgabe noch etwas ein. Fotos werden dazu nicht erscheinen – was ich mir allerdings schon gedacht habe, denn das Licht war sehr diffus. Für den Zeitungsdruck sind solche Fotos denkbar ungeeignet.
Inzwischen ist es Pfingstmontag. Erst jetzt komme ich dazu, meinen eigentlichen Haupttext zu schreiben: den über das Setzen des bunten Pfingstbaumes. Dies ist am frühen Vormittag erledigt. Und auch der zweite Termin des ereignisreichen Wochenendes ist abgearbeitet, der Maimarkt. „Welch ein Glück“, denke ich später, „niemand ist zu Schaden gekommen.“ Übrigens sind die Feuerwehrleute alle ehrenamtlich tätig.

Wie schön: Der Blick auf die „Lange Anna“ vom Helgoländer Oberland aus. Foto: Buschmann

Berge, nein, die mag ich nun wirklich nicht. Ich bin ein Küstenkind, und das möchte ich bleiben. Berge zwängen mich ein. Ich habe eine große Wand vor mir und habe nicht diesen Blick von Weite, von Wegsein. Ihn jedoch habe ich, wenn ich am Strand stehe – egal, ob in Cuxhaven, auf Helgoland oder in Kühlungsborn.
Mehr muss schon immer mal wieder sein. Deshalb freue ich mich immer ganz besonders, wenn ich durch meine Arbeit als Journalist an die Küste komme. So wie in zwei Wochen, wenn ich für einen meiner Auftraggeber die Besonderheiten der Kommunalpolitik auf der größten ostfriesischen Insel Borkum erkunden darf. Es ist schrecklich, dass ich um vier Uhr aufstehen muss, aber alleine für das Gefühl auf einer Insel an der Küste zu sein nehme ich das alles in Kauf: zwei Stunden Anfahrt, zwei Stunden mit der Fähre am frühen Morgen und abends das Gleiche wieder retour. Wie gesagt: Küste muss sein, das habe ich im Blut. An Nord- und Ostsee.

Die Bürger wünschen sich funktionierende Krankenhäuser. Foto: Buschmann

Fast genau 30 Jahre bin ich schreibend unterwegs. Zuerst als der typische kleine „freie Mitarbeiter“, der hier und dort mal zu den hiesigen Vereinen geschickt wird, später dann mehr und mehr als Recherchierender. Mein Steckenpferd ist seit dem Beginn meiner journalistischen Tätigkeit das Lokale. Ich versuche zu erzählen, was die Menschen im Stadtteil, in den Ortschaften der Region und so weiter bewegt.
Vieles ist mir dabei untergekommen, aber eines zeigt sich immer wieder: Die Menschen wünschen sich nichts weiter als ein funktionierendes Gemeinwesen. Die Kinder sollen einen Kitaplatz bekommen, eine gute Schule besuchen und später ohne Probleme einen Beruf erlernen oder studieren. Auch die Müllabfuhr muss klappen. Und wer neue Dokumente benötigt, wie zum Beispiel einen Führerschein oder eine Personalausweis, sollte ebenfalls nicht so lange warten. Ganz abgesehen von einer für alle bezahlbaren Gesundheitsversorgung.
Letztlich sind es die üblichen Dinge, die die Menschen erwarten. Doch ich habe in 30 Jahren Lokaljournalismus immer wieder feststellen müssen, dass insbesondere in Bremen die Stadt kaputt gespart worden ist. Egal, ob Ampelkoalition, Rot-Schwarz und am Ende auch Rot-Grün: Das Gemeinwesen funktioniert nur noch holperig. Es fehlen Lehrer, Erzieher, Krankenpfleger, Ärzte, Mitarbeiter in der Kernverwaltung. Und ob der Staat sein Gewaltmonopol in Bremen noch durchsetzen kann, daran habe ich angesichts der fehlenden Polizisten meine Zweifel.
Ich selbst werde als Lokaljournalist immer wieder mit diesen Entwicklungen konfrontiert. Und ich werde darüber weiterhin berichten – wie schon immer in den vergangenen knapp 30 Jahren. Denn: Im Lokalen liegt die Kraft.