Weltmusik, grillen und AC/DC

Im Sommer öffnen mir meine Nachbarn ungewollt neue musikalische Welten. Leider kann ich damit gar nichts anfangen.

Ein Laptop und drei Langspiellplatten

Sommerhitze, der Schweiß läuft ohne Unterlass – bei solch einem Wetter mit Temperaturen von über 30 Grad ziehe ich es gerne vor, mein Büro auf den Balkon zu verlegen. Zumindest morgens und ab nachmittags ist dies keine so schlechte Alternative. Nicht nur, weil ich dann wenigstens an der frischen Luft bin, wie Oma und Eltern immer zu sagen pflegten. Auch das Umfeld ist, sagen wir mal, speziell.

Diesbezüglich tun sich insbesondere meine Nachbarn hervor. Sie gehören zur Spezies „Wir sehen uns das ganze Jahr nicht, aber mit den ersten Sonnenstrahlen grillen wir bis der Arzt kommt“. In Ermangelung des kleinen und großen Latinums habe ich bedauerlicherweise keinen anderen Namen parat. Das Grillen an sich ist ja eher etwas, was zu unserer Kultur gehört. Das taten schon die Neandertaler.

Latin Quarter und Johnny Clegg

Speziell wird es jedoch bei der Musik. In den 1980er-Jahren hätte ich den Geschmack der Nachbarn wohl unter Weltmusik eingruppiert. Irgendwo zwischen Latin Quarter und Johnny Clegg. Aber das mag ich den Heroen meiner Jugendzeit nicht antun. Die Musik der Menschen von nebenan geht zwar auch in die Beine, aber eben mehr in die Hüften. Will sagen: Das ist etwas für Menschen, die Bauchtanz lieben und können. Spätestens an der Stelle bin ich mit meinem Bandscheibenvorfall raus.

Die Musik, die da von meinen Nachbarn zu mir auf den Balkon heraufschallt ist eine Mischung aus Hip-Hop, Oriental, vielleicht noch ein bisschen Acid-Jazz, Electro, Dubstep und verlangsamter Jungle. Also im Grunde recht interessant. Ob es allerdings ein Stück, so eine ganze Session oder endlos ineinander gelegte Tracks wie beim Acid-Jazz in den 90er-Jahren sind: Das vermag ich nicht zu sagen. Auch die Formationen, die da aus dem einen Bluethooth-Lautsprecher in der Garageneinfahrt dröhnen, kenne ich nicht.

Absolut oldschool

Und dann wird es mir bewusst: Ich bin mit meinem Musikgeschmack absolut oldschool. AC/DC, Deep Purple, Blues Brothers, Herwig Mitteregger, Spliff, Genesis, Bruce Springsteen, Klaus Lage, Ulla Meinecke, Marius Müller-Westernhagen, Stoppok – sie sind die Helden meiner musikalischen Sozialisation. Recht selten bewege ich mich fort aus ihrem Universum. Natürlich gibt es noch einige andere Musiker, die ich verehre.

Aber keine Angst, ich bin dem Neuen natürlich nicht abgeneigt. Es darf gerne auch Versengold, Thees Uhlmann, Mighty Oaks oder etwas anderes sein, das da auf meine Ohren geht. Hin und wieder grabe ich auch in meinen CDs und schmeiße Chopin, Rachmaninow oder Händel rein. Die Mozartschen Sinfonien hingegen kommen nur auf den Plattenspieler.

Hardrock-Dauerberieselung

Im vergangenen Jahr habe ich meine Nachbarn geärgert. Nur mal so ein bisschen Dauerberieselung mit Hardrock von 11 bis 18 Uhr. Während ich meinen Balkon sanierte, hatte ich mit fortschreitender Stunde den Eindruck, dass sie zunehmend genervt waren. Nun muss man wissen, dass unser Grundstück an das eines alten Kinos grenzt.

Die lange Gebäudewand wirkt wie ein riesiger Schalltrichter. Das gefällt nicht jedem, wie ich vor einigen Jahren feststellte: Als etwas lautere Untermalung zu meinem Hausputz hatte ich mir eine meiner AC/DC-Scheiben ausgesucht. Da ich auch dann etwas von der Musik hören wollte, wenn der Staubsauger läuft, mussten ein paar Dezibel mehr her.

AC/DC am Sonntag

Dummerweise hatte ich die Gesetze der Physik zur Schallausbreitung nicht bedacht. Als ich gerade mit dem Saugen des Wohnzimmers fertig war, klingelte es: Mein Nachbar drei Häuser weiter, der mich schon seit Kindertagen kennt, fragte freundlich: „Ulf, kannst Du mal bitte die Musik leiser machen? Wir möchten Mittagsschlaf machen.“ Keine Frage, meinte ich etwas peinlich berührt, die Mittagsruhe sei jedem gegönnt – zumal am Sonntag um 13.30 Uhr.