Im Lokalen ist es ein Thema mit Sprengstoff – diese Erkenntnis setzt sich langsam durch
Ein Sommerabend in Bremen. Bremens Bürgermeister Carsten Sieling ist zu Gast bei zwei Ortsvereinen der SPD. Es geht um Themen, die die Menschen in den Orts- und Stadtteilen bewegen: Schulen, Kita-Plätze, Sauberkeit. Die Liste ist durchaus lang. Eher beiläufig wirft eines der SPD-Mitglieder das Thema Straßenausbaubeiträge in die Runde. Sieling schaut auf. Scheinbar hat er das Thema nicht auf dem sprichwörtlichen Schirm. „Wenn wir die Anwohner da jetzt auch noch zur Kasse bitten, haben wir da die Wahl im kommenden Jahr verloren“, sagt der Genosse.
Anwohner müssen zahlen
Eine Wahl verlieren oder zumindest ordentlich Stimmen einbüßen durch Straßensanierung? Jawohl das funktioniert. Das geht so: Lässt die Gemeinde eine kommunale Straße sanieren oder neu bauen, werden die Anwohner in der Regel zur Kasse gebeten. Sie müssen für das Gros der entstandenen Kosten aufkommen. In der Vergangenheit haben sich Städte und Gemeinde meistens 90 Prozent des Geldes auf diese Weise wieder zurückgeholt. Voraussetzung dafür ist die Existenz einer kommunalen Verordnung, einer sogenannten Satzung. Darin ist unter anderem festgelegt, wie hoch die Straßenausbaubeiträge sind. Die Höhe jedes Beitrags wiederum wird nach der Grundstücksgröße berechnet. Da kommen schnell einige tausend Euro zusammen.
Betroffene wehren sich
Jedoch: Gegen diese Art der Finanzierung regt sich immer mehr Widerstand. Die Anwohner empfinden Straßenausbaubeiträge ungerecht. Die Politik reagiert. So hat gerade erst der Rat der Stadt Stade die Straßenausbaubeiträge abgeschafft. Sie macht sich die Wahlmöglichkeit zunutze, die es seit März 2017 in Niedersachsen gibt – „wiederkehrende Beiträge“ heißt das Zauberwort: Statt die direkten Anwohner bezahlen zu lassen, sollen alle von der Sanierung oder dem Neubau einer Straße in die Pflicht genommen werden, die vom Projekt profitieren. Ob die „wiederkehrenden Beiträge“ Bestand haben werden, wird sich in einigen Jahren zeigen. Die Gemeinden sammeln gerade Erfahrungen. Auch damit, Kosten auf die Grundsteuer umzulegen.
Anforderungen fürs Lokale
Straßenausbaubeiträge sind auch für uns Lokaljournalisten ein wichtiges Thema. Damit sind wird nämlich ganz nah an den Menschen. Straßenausbaubeiträge gehen erfahrungsgemäß ziemlich ans Portemonnaie – zumal dann, wenn die Grundstücke richtig groß sind. Doch es nicht nur das, was dieses Thema für unseren Berufsstand so spannend macht. Es gibt nämlich durchaus auch mehrere Sichtweisen: Ist es gerecht, auch die Eigentümer herauszuziehen, die auch in der zweiten Reihe davon profitieren? Und was ist mit den anderen Menschen in der Gemeinde? Wie hoch ist der Verwaltungsaufwand? Wie beeinflusst die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge die Finanzbeziehungen zwischen dem Bundesland und seinen Kommunen? Ist die Landeskasse in der Lage, im Sinne des sogenannten Konnexitätsprinzips die entgangenen Einnahmen der Städte und Gemeinden zu ersetzen beziehungsweise auszugleichen?
Vielschichtige Diskussionen
Es sind also vielschichtige Diskussionen, die da auf Menschen, Politik und Verwaltung zukommen. Und es sind komplexe Fragen von uns Lokaljournalisten zu beantworten. Sicherlich wird es nicht reichen, wenn wir in klassischer Art und Weise darstellen, welche Argumente die verschiedenen Seiten in die Runde werfen. Unsere Aufgabe wird es sein, den Menschen – also unseren Lesern bezi
ehungsweise Usern – dieses Thema gedruckt und digital zu vermitteln. Da bleibt das tiefe Einsteigen in diese Materie nicht aus.
Eigene Recherche, gute Ausbildung
Mit geht es genauso. Straßenausbaubeiträge waren auch für mich jüngst ein neues Thema. Bevor ich die eigentliche Recherche für einen in der ROTENBURGER KREISZEITUNG erschienen Artikel starten konnte, hatte ich erst einmal einen ganzen Tag gebraucht um mich mit den Grundzügen des Ganzen vertraut zu machen. Es war eine anspruchsvolle Recherche. In diesem Zusammenhang freue ich mich übrigens immer wieder, dass ich eine so breit aufgestellte Ausbildung im Studiengang Politikwissenschaften der Universität Bremen genießen durfte. Ich konnte also beides, die aktuelle Recherche und mein Wissen zusammenbringen.
Gerade bei solch einem Thema zeigt sich immer wieder: Wer sich im Lokalen bewähren möchte, muss sich im Studium und danach immer wieder auch mit auf den ersten Blick schnöden Themen wie Straßenausbaubeiträgen befassen. Die Komplexivität der Themen, mit denen sich wir Lokaljournalisten und die Vertreter der Politik befassen müssen, nimmt schon fast von Jahr zu Jahr zu. Ohne Fachwissen abseits vom Input der Gemeindeverwaltung funktioniert es gar nicht mehr. Beispiele dafür, wo es sich in erster Linie die Frauen und Männer in den lokalen Gremien zu leicht machen, in dem sie sich auf die ehrlich gesagt sehr schön ausgearbeiteten Vorlagen der Gemeindeverwaltung machen, gibt es leider noch immer viel zu viele. Aber noch ist es nicht zu spät. Denn: Die Parteien bieten ihren Aktivisten viele Fortbildungen an.