Kirchen sind nach wie vor ortsbildprägend. Aber viele stehen vor einer ungewissen Zukunft. Foto: Buschmann

Kirchen und Friedhöfe stehen vor einer ungewissen Zukunft – aber es gibt Ideen

Sie gehören zu jedem Ortsbild: Kirchen, Gemeindezentren und Friedhöfe. Und sie sind noch immer Gegenstand der Lokalberichterstattung – wenn auch nicht mehr in dem Maße wie früher. Auch die Art der Berichterstattung hat sich verändert. Heute werden kirchlich-religiöse Veranstaltungen – Konzerte, Vorträge und Co. – nicht mehr automatisch breit in lokalen Medien wiedergegeben. Dafür stehen Inhalte im Mittelpunkt. Dies heißt auch für die Lokalkollegen zu recherchieren. Sie bohren Themen, die auf den ersten Blick nur für eine kleine Schar Menschen interessant sind, für die breite Öffentlichkeit auf.

Viele Themen

Davon gibt es derzeit genug, die Palette ist nahezu unüberschaubar: Finanzen, Gemeindezusammenschlüsse, die Kirchen als Träger sozialer Einrichtungen wie Kindertagesstätten, die Friedhöfe und so weiter. Was Menschen auffällt, die nicht allzu viel mit dem Gemeindeleben zu tun haben: Die Zukunft der Friedhöfe und der Kirchengebäude steht auf dem Spiel. Die beiden Hauptgründe: Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein günstigeres Urnenbegräbnis als für ein klassisches Grab und die Erlöse aus der Kirchensteuer gehen zurück. Kurz: Die Kirchengemeinden leiden zumindest auf der Ebene der Landeskirchen seit Jahren unter einem finanziellen Aderlass.

Bürgerschaftliches Engagement

Die hat auf lange Sicht Auswirkungen – nicht nur auf die Kirchengemeinden, sondern auch auf die Entwicklung der jeweiligen politischen Gemeinde. Die Lokalmedien berichten über entweihte und teilweise verkaufte Kirchen, über die Aufgabe von unrentablen Friedhöfen und die Folgen.

Sie berichten aber auch über bürgerschaftliches Engagement von Menschen, die eigentlich mit Religion und noch weniger mit der Institution Kirche etwas am sprichwörtlichen Hut haben. Ihr Ziel ist es, die Kirche im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf zu lassen. Vor allem im Osten Deutschland, etwa im Bereich der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, entstehen sogenannte Kirchbau-Fördervereine. Eines der bekannteren Beispiele ist der Freundeskreis Horburger Madonna. Diese Vereine bringen Leben in die sprichwörtliche Bude.

Medien greifen Themen auf

Die Erkenntnis, die auch die lokalen Medien landauf und landab gewinnen: Friedhöfe mit anderem Leben zu erfüllen, ist erheblich einfacher als Kirchengebäude in die Zukunft zu überführen. Dabei gilt es eigentlich, beides zu erhalten. Denn: Friedhöfe und Kirchen sind nicht nur Orte des Betens und der Trauer. Friedhöfe und Kirchengebäude erzählen auch die Geschichte eines Ortes. Sie sind auf lokaler Ebene identitätsstiftend.

Das schlägt sich auch in zunehmendem Maße in den lokalen Medien nieder. Die Kolleginnen und Kollegen fragen sich: Was wird aus diesen Orten? Friedhöfe etwa werden ein Teil der Stadtökologie. Die Gemeinden ermöglichen es zum Beispiel, dass Imker auf den leeren Grabstellen ihre Bienenstöcke betreiben können. Oder sie organisieren ihre Areale den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen um – wo einst Grabflächen waren, entstehen anonyme oder halbanonyme Urnenfelder.

Neue Ideen für die Kirchen

Und dort, wo es keine Kirchenbau-Fördervereine gibt, versuchen die Verantwortlichen, die Gotteshäuser anders zu nutzen: als Jugendkirchen und als Kulturkirchen. Andere Bauten bekommen einen ganz neuen Zweck. Beispiel Rostock: In der Nikolaikirche gibt es bereits seit der 1980er-Jahren 20 Wohnungen.

Allerdings: In der Breite sind dies nur Ideen, die einem Tropfen auf den heißen Stein gleichen. Viele Kirchengebäude stehen schon jetzt oder in den kommenden Jahren vor einer ungewissen Zukunft. Kein Wunder, ist doch ihr Unterhalt in jeder Hinsicht ziemlich teuer: Die Heizkosten sind hoch und immer wieder müssen Handwerker sowie bisweilen Restauratoren Hand an die Gotteshäuser legen.

Im Lokalen ist es ein Thema mit Sprengstoff – diese Erkenntnis setzt sich langsam durch

Gegen Straßenausbaubeiträge regt sich immer öfter Widerstand. Foto: Buschmann

Ein Sommerabend in Bremen. Bremens Bürgermeister Carsten Sieling ist zu Gast bei zwei Ortsvereinen der SPD. Es geht um Themen, die die Menschen in den Orts- und Stadtteilen bewegen: Schulen, Kita-Plätze, Sauberkeit. Die Liste ist durchaus lang. Eher beiläufig wirft eines der SPD-Mitglieder das Thema Straßenausbaubeiträge in die Runde. Sieling schaut auf. Scheinbar hat er das Thema nicht auf dem sprichwörtlichen Schirm. „Wenn wir die Anwohner da jetzt auch noch zur Kasse bitten, haben wir da die Wahl im kommenden Jahr verloren“, sagt der Genosse.

Anwohner müssen zahlen

Eine Wahl verlieren oder zumindest ordentlich Stimmen einbüßen durch Straßensanierung? Jawohl das funktioniert. Das geht so: Lässt die Gemeinde eine kommunale Straße sanieren oder neu bauen, werden die Anwohner in der Regel zur Kasse gebeten. Sie müssen für das Gros der entstandenen Kosten aufkommen. In der Vergangenheit haben sich Städte und Gemeinde meistens 90 Prozent des Geldes auf diese Weise wieder zurückgeholt. Voraussetzung dafür ist die Existenz einer kommunalen Verordnung, einer sogenannten Satzung. Darin ist unter anderem festgelegt, wie hoch die Straßenausbaubeiträge sind. Die Höhe jedes Beitrags wiederum wird nach der Grundstücksgröße berechnet. Da kommen schnell einige tausend Euro zusammen.

Betroffene wehren sich

Jedoch: Gegen diese Art der Finanzierung regt sich immer mehr Widerstand. Die Anwohner empfinden Straßenausbaubeiträge ungerecht. Die Politik reagiert. So hat gerade erst der Rat der Stadt Stade die Straßenausbaubeiträge abgeschafft. Sie macht sich die Wahlmöglichkeit zunutze, die es seit März 2017 in Niedersachsen gibt – „wiederkehrende Beiträge“ heißt das Zauberwort: Statt die direkten Anwohner bezahlen zu lassen, sollen alle von der Sanierung oder dem Neubau einer Straße in die Pflicht genommen werden, die vom Projekt profitieren. Ob die „wiederkehrenden Beiträge“ Bestand haben werden, wird sich in einigen Jahren zeigen. Die Gemeinden sammeln gerade Erfahrungen. Auch damit, Kosten auf die Grundsteuer umzulegen.

Anforderungen fürs Lokale

Straßenausbaubeiträge sind auch für uns Lokaljournalisten ein wichtiges Thema. Damit sind wird nämlich ganz nah an den Menschen. Straßenausbaubeiträge gehen erfahrungsgemäß ziemlich ans Portemonnaie – zumal dann, wenn die Grundstücke richtig groß sind. Doch es nicht nur das, was dieses Thema für unseren Berufsstand so spannend macht. Es gibt nämlich durchaus auch mehrere Sichtweisen: Ist es gerecht, auch die Eigentümer herauszuziehen, die auch in der zweiten Reihe davon profitieren? Und was ist mit den anderen Menschen in der Gemeinde? Wie hoch ist der Verwaltungsaufwand? Wie beeinflusst die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge die Finanzbeziehungen zwischen dem Bundesland und seinen Kommunen? Ist die Landeskasse in der Lage, im Sinne des sogenannten Konnexitätsprinzips die entgangenen Einnahmen der Städte und Gemeinden zu ersetzen beziehungsweise auszugleichen?

Vielschichtige Diskussionen

Es sind also vielschichtige Diskussionen, die da auf Menschen, Politik und Verwaltung zukommen. Und es sind komplexe Fragen von uns Lokaljournalisten zu beantworten. Sicherlich wird es nicht reichen, wenn wir in klassischer Art und Weise darstellen, welche Argumente die verschiedenen Seiten in die Runde werfen. Unsere Aufgabe wird es sein, den Menschen – also unseren Lesern bezi

ehungsweise Usern – dieses Thema gedruckt und digital zu vermitteln. Da bleibt das tiefe Einsteigen in diese Materie nicht aus.

Eigene Recherche, gute Ausbildung

Mit geht es genauso. Straßenausbaubeiträge waren auch für mich jüngst ein neues Thema. Bevor ich die eigentliche Recherche für einen in der ROTENBURGER KREISZEITUNG erschienen Artikel starten konnte, hatte ich erst einmal einen ganzen Tag gebraucht um mich mit den Grundzügen des Ganzen vertraut zu machen. Es war eine anspruchsvolle Recherche. In diesem Zusammenhang freue ich mich übrigens immer wieder, dass ich eine so breit aufgestellte Ausbildung im Studiengang Politikwissenschaften der Universität Bremen genießen durfte. Ich konnte also beides, die aktuelle Recherche und mein Wissen zusammenbringen.

Gerade bei solch einem Thema zeigt sich immer wieder: Wer sich im Lokalen bewähren möchte, muss sich im Studium und danach immer wieder auch mit auf den ersten Blick schnöden Themen wie Straßenausbaubeiträgen befassen. Die Komplexivität der Themen, mit denen sich wir Lokaljournalisten und die Vertreter der Politik befassen müssen, nimmt schon fast von Jahr zu Jahr zu. Ohne Fachwissen abseits vom Input der Gemeindeverwaltung funktioniert es gar nicht mehr. Beispiele dafür, wo es sich in erster Linie die Frauen und Männer in den lokalen Gremien zu leicht machen, in dem sie sich auf die ehrlich gesagt sehr schön ausgearbeiteten Vorlagen der Gemeindeverwaltung machen, gibt es leider noch immer viel zu viele. Aber noch ist es nicht zu spät. Denn: Die Parteien bieten ihren Aktivisten viele Fortbildungen an.

Wohnungsbau, Breitbandausbau, Straßensanierung, Bildungsinvestitionen: Städte und Gemeinden müssen viele Probleme angehen – doch irgendwie geht nichts voran

Fehlende Wohnungen sind zurzeit das größte kommunale Problem. Foto: Buschmann

Lokaljournalisten kommen ziemlich herum. Dabei stoßen wir auf zahlreiche Probleme und unerledigte Aufgaben, die die Kommunen entweder nicht stemmen können. Oftmals sind die Entscheidungsträger in den politischen Gremien und der Verwaltung schlichtweg zu doof, um die Tragweite einer oder mehrerer Aufgaben zu erkennen. Die Vertreter der sogenannten großen und der kleinen Politik bewegen sich in einer Blase, die den Blick vor der Realität versperrt oder zumindest verzerrt. Hier und da werden auch die Anliegen der Menschen vor Ort ignoriert.

Gerade berichtete DIE NORDDEUTSCHE, der hiesige Regionalteil des WESER-KURIER, über massive Probleme an einer Grundschule im Ortsteil Grohn: Der Anteil der Migranten sei hoch, die Kinder würden Konflikte der Erwachsenen untereinander austragen. Die Schulleiterin rief nach Hilfe. Die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen fürs Leben, so scheint es, tritt völlig in den Hintergrund. Und die Verwaltung? Sie sei „dran“, heißt es im Artikel.

Fehlende Wohnung

Im Landkreis Diepholz fehlen vor allem in den Gemeinden Stuhr und Weyhe viele Wohnungen – so berichtete ich vor einigen Wochen für die KREISZEITUNG. 705 Wohnungen seien im Jahr 2017 im Landkreis Diepholz errichtet worden. So zitierte ich aus einer Mitteilung des Verbändebündnis Wohnen. Es ist zwar ein Lobbyverband, doch weitere Recherchen haben ergeben: Nicht nur im Landkreis Diepholz, sondern in ganz Niedersachsen müssen viel mehr Wohnungen gebaut. Sogar bundesweit!

Und dann der Breitbandausbau: Ob in der Lokalberichterstattung oder auf Kongressen, fehlendes schnelles Internet ist immer wieder ein Thema. Dessen Ausbau kommt nicht voran. Zwar hat die alte Bundesregierung ein gut mit Euro unterfüttertes Programm auf den Weg gebracht. Doch das Antragsverfahren ist – wieder einmal – kompliziert. Das für den Ausbau bereitgestellte Geld ist bis heute noch nicht ausgegeben.

Straßenausbaubeiträge

Den Blutdruck nach oben treibt auch das Thema Straßenbau. Und zwar dann, wenn es um die sogenannten Ausbaubeiträge geht. Sie können Städte und Gemeinden zum Beispiel dann erheben, wenn eine vorhandene Straße ausgebaut wird. Sie sind bitte nicht zu verwechseln mit den Erschießungsbeiträgen, die im Bundesbaugesetz geregelt sind. Straßenausbaubeiträge sind rein kommunale Abgaben, festgelegt in den Satzungen der Gemeinden. Angesichts klammer Kassen verzichten Kämmerer natürlich ungern auf diese Möglichkeit, einen guten Teil der anfallenden Kosten von den Anliegern wiederzuholen.

Schön in Deckung bleiben

Dies alles sind Themen von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Doch egal auf welcher Ebene, es scheint kaum jemand in der Lage, wirkliche, durchgreifende Lösungen zu präsentieren. In den Schulen werden die Kinder, Eltern, Lehrer und Schulleitungen mit Problemen konfrontiert, für die sie überhaupt nicht ausgebildet sind. Und für die sich allem Anschein nach niemand in der Bremer Bildungsbehörde wirklich interessiert.

Sozialer Wohnungsbau

Als viel gravierender betrachte ich das Thema Wohnen. Ich frage mich angesichts der massiven Probleme gerade in den Ballungsgebieten: Warum kommt niemand in Berlin aus der Deckung und fordert die Wiedereinführung des sozialen Wohnungsbaus? Denn nur von dort, vielleicht noch auf EU-Ebene, kann das Problem der durch die Decke gehenden Mieten gelöst werden. Stattdessen doktert die Bundesregierung ein bisschen an der Förderung des Wohneigentums und ein bisschen an der Mietpreisbremse herum. Auch aus den Bundesländern kommt leider keine Initiative im Bundesrat. Immerhin hat die Stadtgemeinde Bremen mit der Gewoba die Möglichkeit, den lokalen Markt ein bisschen zu steuern, und das ist gut so.

Straßenausbaubeiträge abschaffen!

Direkt damit verbunden: die Straßenausbaubeiträge. Warum bitte kommt kein Lokalpolitiker darauf, dass diese Regelung erstens junge, zuzugswillige Familien vertreibt und zweitens die älteren Grundstückseigentümer in den Ruin treibt? Warum fordert niemand die ersatzlose Streichung dieser kommunalen Regelungen? Fehlt da der Weitblick oder der Durchblick?

Dies alles sind Themen, die mir im Lokalen immer wieder begegnen. Kein Verantwortlicher präsentiert wirkliche Lösungen. Bitte, liebe Leute, beherzigt das, was schon mein Opa sagte: „Es gibt für alles eine Lösung, man muss nur mal den Arsch hochkriegen.“

Über Gospels zu berichten, lohnt sich immer

Zum 1. Bremer Gospelwochenende gehörte auch ein Workshop in der Martin-Luther-Gemeinde. Foto: Buschmann

Es gibt Aufträge und Termine, die einfach nur ein Job sind und es gibt solche, die in die Seele und tief ins Herz gehen. So groß ist Spannungsfeld für einen Lokaljournalisten. So ist es mir ergangen. Ich habe für evangelisch.de über das 1. Bremer Gospelwochenende berichtet – und zwar über den Gospelworkshop. Eine Vorbereitung auf das für abends auf dem Bremer Marktplatz geplante Open air-Konzert aller 16. Gospelchöre.

Dass es mehr werden würde als ein üblicher Sonnabendmittag-Termin war mir insgeheim schon auf dem Weg zur Martin-Luther-Kirche klar. Als ich ankam, war Coach, Komponist und Gospelsänger Chris Lass längst in seinem Element. Er und die gut und gerne 90 Sänger aus unterschiedlichen Chören probten gerade ein Medley: „Rockin‘ my Soul in the Bosom of Abraham“, „He’s Got the whole World in his Hand“ und „Amen“.

Mehr als nur Routine

Ich spulte zwar meine Routine ab und packte erst einmal an der Seite meine Utensilien – Block, Fotoapparat und mein Mobiltelefon zwecks Filmaufnahmen aus. Das wirkte zwar im ersten Moment ein etwas abwesend, doch innerlich war ich längst in diese Musik mit ihrer tiefgreifenden Spiritualität eingetaucht. Dies hatte wohl viel mit meiner Biografie und meiner ehrenamtlichen Arbeit in der Evangelischen Jugend meiner Kirchengemeinde Vegesack zu tun. Doch das allein war es nicht, immerhin nehme ich für mich in Anspruch, gläubiger Christ zu sein. Wohlgemerkt: Ich bin nicht evangelikal! Vielmehr hat mich die liberale Ausrichtung der Bremischen Evangelischen Kirche der 1970er- und 1980er-Jahre geprägt. Und meine Vegesacker Gemeinde.

Mitsingen „im Geiste“

Auch die beiden Kompositionen „The Power of Prayer“ und „Halte mich“ von Chris Lass berührten mich sehr. Die Lieder wirkten wie ein gutes Glas Milch mit Honig bei Erkältung: Du fühlst dich scheiße, doch das Hausmittel legt sich wie ein sanfter Teppich auf Deine gereizten Bronchien. Mir erging es während des Termins zwar nicht wie einem der Sänger, der nach eigenen Worten „ganz weggetreten“ war, doch es war, wie ich auf Facebook auf die Frage einer guten Freunde schrieb. Sie fragte: „Singst Du mit?“ Ich antwortete: „Im Geiste.“

Abends auf dem Marktplatz

Dann kam der Abend. Die Chöre machten ordentlich Stimmung, die Leute gingen mit. Auch mich berührten die Songs und die Performances der Chöre. Langsam ging die Sonne unter, das Rathaus, der Dom und der Schütting wurden wie üblich illuminiert. Und doch wirkte die ganze Szenerie auf mich anders als sonst: Die Lieder – insbesondere das Medley – berührten mich einmal mehr. Doch dieses Mal war das Gefühl noch intensiver. Mir kamen sogar ein paar Tränen. Einige Leute schauten mich etwas verstört an. Sie wussten, dass ich nicht als Zuschauer, sondern als Chronist vor Ort war. Aber so ist es eben: Journalisten sind auch Menschen. Auch wenn sie in unterschiedlichen Situationen ihren Job machen (müssen).

Wenn Informationen über einen Feuerwehreinsatz kommen, rückt der Feierabend in (weite) Ferne

Wenn ein Zug auf freier Strecke stehenbleibt, ist das ein berichtenswertes Ereignis. Foto: Buschmann

Die Seiten sind fertig und können schon bald belichtet werden. Die interessantesten Geschichten stehen zum Nachlesen auf den Internetseiten – für den geneigten Lokaljournalisten sind dies die besten Anzeichen für den nahenden Feierabend. Doch dann klingelt beim Kollegen das Mobiltelefon. Die Info: Ein ICE ist auf offener Strecke stehengeblieben, weil bei einem Unwetter ein Baum auf die Oberleitung gefallen ist. 450 Fahrgäste sitzen in der Hitze ohne funktionierende Klimaanlage fest. Entsprechend große ist das Aufgebot der Rettungskräfte. Klarer Fall: Feuerwehreinsatz kurz vor Feierabend.

Dieses Ereignis sorgt dafür, dass sich der sicher geglaubte Feierabend um Stunden nach hinten verschiebt. Denn: Zwei Kollegen aus der während der Ferienzeit sowieso schon dünn besetzten Lokalredaktion machen sich auf den Weg zum Ort des Geschehens; ein dritter hält die sprichwörtliche Stellung im Büro. Im Kopf des Kollegen werden die Seiten längst umgeplant. Doch erst einmal heißt es, den Ort des Geschehens überhaupt zu finden. Nach einigem Herumgekurve ist es geschafft.

Sammeln von Informationen

Jetzt teilen wir uns auf: Ich, der nicht wirklich gerne fotografiere, rede mit dem Pressesprecher der Feuerwehr, sammele Eindrücke und versuche, nach einem Hinweis der für diesen Bereich zuständigen Bundespolizei mit den Fahrgästen zu sprechen. Aus diesem Input baue ich später zusammen mit dem Kollegen eine aktuelle Geschichte für die Ausgabe der Zeitung am nächsten Tag. Schon einige Stunden später gibt es die Geschichte bereits online sowie auf Facebook zu lesen.

Geschichten wie diese gehören auch zum Leben des Lokaljournalisten. Es kommt nicht häufig vor, aber es passiert eben. Gerade für uns freie Journalisten sind solche Stories von besonderer Bedeutung. Abgesehen davon, dass sich Ereignisse mit Zügen meistens mehrfach verwerten lassen, müssen wir Journalisten besondere Vorsicht walten lassen. Erstens, weil wir die Einsatzkräfte nicht behindern und die Rettung der Menschen nicht gefährden dürfen.

Eigensicherung ist oberstes Gebot

Zweitens, weil wir auf uns selbst aufpassen müssen – Stichwort Eigensicherung. Wenn wir sogenannten Freien nicht aufpassen, können wir uns schnell durch einen Fehltritt oder Ähnliches verletzen. Wenn wir Glück haben, tut es nur weh. Haben wir aber Pech, müssen wir ins Krankenhaus. Wer in solch einem Fall nicht versichert ist, bekommt ein Problem: Keine Arbeit, kein Umsatz. Ich versuche deshalb, mich so gut wie möglich zu schützen. Dazu gehören ein wacher Blick auf die Umgebung und Sicherheitsschuhe an den Füßen.

Nicole Giese-Kroner, künstlerische Leiterin des Syker Vorwerks, und Mitarbeiterin Claudia Bender, hatten viele Ideen zu „Knutschorten“. Foto: Buschmann

Auf Leute zugehen, anquatschen, Antworten aufschreiben, vielleicht noch ein Foto machen oder machen lassen – das ist das Wesen einer Straßenumfrage. Generationen von Journalisten wurden damit sozialisiert. Vor allem im Lokalen hatten Straßenumfragen ihren festen Platz, waren sie doch ein beliebtes Stilmittel um dem Volk aufs sprichwörtliche Maul zu schauen. Gleichzeitig waren Straßenumfragen ein beliebtes Mittel, sich mit dem Heimatort und der Lokalzeitung zu identifizieren.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Dies merkte ich erst vor einigen Wochen, als ich in Rotenburg Menschen zum Thema Frühlingsgefühle befragen wollte. So recht antworten wollten nur wenige. Einigen war es peinlich, andere argumentierten, sie hätten keine Zeit, wieder andere möchten sich einfach nicht in der Zeitung und später online sehen. Und mit Bild schon gar nicht.

Kein Interesse

Nicht nur in Rotenburg war es der Fall, auch in Syke. Zur Erinnerung: Am 6. Juli war Tag des Kusses. Also hatten wir uns in der Redaktion darüber Gedanken gemacht, wie wir das Thema umsetzen. Ich bekam den Auftrag eine kleine Straßenumfrage zum Thema zu machen. „Da werden sicherlich ein paar Leute ‚rumlaufen“, sagte eine Kollegin. Was stellte ich jedoch fest? In der Hauptstraße waren einige Leute unterwegs; doch die meisten hatten schlichtweg kein Interesse, mir zu diesem Thema eine Antwort auf meine Fragen zu geben. Übrigens ging es um „Knutschorte“.

Plan B im Kopf haben

Was also tun? Wer als Journalist heute auf die Straße geht, muss immer einen Plan B im Kopf haben. Meine Strategie lautet: Nicht nur Menschen im öffentlichen Raum befragen. Es ist sinnvoll, auch an anderer Stelle zu fragen. Ich suchte im Rahmen meiner Kusstag-Umfrage beispielsweise die Bürgerinformation des Syker Rathauses aus. Die Damen dort waren zwar gewillt, etwas zu sagen, doch gerade zum Thema Knutschorte, fiel ihnen eher nichts ein. „Ich bin mit meinem Mann schon 28 Jahre zusammen, wir knutschen nicht mehr“, meinte eine der freundlichen Damen lachend.

Glücklicherweise hatte ich einen vorhergehenden Termin im Rahmen des Syker Ferienprogramm im Vorwerk. Die dortige künstlerische Leiterin Nicole Giese-Kroner und ihre Mitarbeiterin Claudia Bender unterhielten sich ganz ungezwungen mit mir über Knutschorte. Das Thema war gerettet.

Das ist klassischer Lokaljournalismus: Vorstellung des neuen Kulturprogramms in Syke. Foto: Buschmann

Ich werde hier und da mal gefragt: „Unterscheidet sich der Journalismus auf dem Land eigentlich von dem in der Stadt?“ Die Antwort von mir kommt hin und wieder zögerlich. Am Ende sage ich meistens: „Im Großen und Ganzen nicht, aber in Nuancen schon.“ Auf dem Land ist noch mehr Verein und Schützenfest. In der Stadt – auch in der kleinen – fallen die Themen schon urbaner aus.

Auf dem Land wie in der Stadt geht es im Laufe des Jahres um Straßenbau und Verkehr, um Migration, um wirtschaftliche Entwicklung, um Bildung und um genug Kitaplätze. Im Gegensatz zur Stadt sind die Menschen allein schon aufgrund der Größe der Ortschaften näher dran am jeweiligen Thema. Da kann es schneller passieren, dass der geneigte Lokaljournalist beim Wochenend-Einkauf oder beim Ausflug mit der Familie auf das eine oder andere Ding angesprochen wird.

Was ich allerdings in den vergangenen Tagen festgestellt habe: Schützenfeste sind gerade in den kleinen Ortschaften das beherrschende Thema. Und wehe, die Presse war nicht vor Ort. Dann folgen die Anrufe der Vereinsvertreter. Denn die Schützenfeste zu besetzen gehört in vielen Bereichen noch immer zum lokaljournalistischen Narrativ. Dabei ist es egal, dass die Abläufe seit Jahrzehnten die gleichen sind.

Ganz anders verhält es sich da mit der Kultur. Dieser Bereich ist in der kleineren (Kreis-) Stadt genauso vertreten wie in der großen Stadt. Das beste Beispiel: Die Stadt Syke stellt ihr neues Kulturprogramm vor. Es ist ein Mix aus bekannten Showgrößen, aus Kabarett, aus Lesungen und so weiter. Was nämlich kaum einer weiß: Die kleinen und mittleren Städte gehören heute zwingend genauso zum Tourneeprogramm von Comedians und Co. wie die Metropolen. Insofern treffen sich Stadt- und Landjournalismus am Ende wieder.

„Machen Sie mir doch mal ein Angebot.“ Der Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung klingt erst einmal sympathisch. Und die Aufgabe hat es zwar in sich, aber sie scheint interessant zu sein. Nur dass es alles so schnell gehen soll, passt nicht so ganz in den Kram, wie wir in Norddeutschland sagen.
Ein Angebot will genau kalkuliert werden. Und zwar auch so, dass es seriös ist. Zudem muss noch Verhandlungsmasse da sein. Schließlich ist ein Angebot ja eine Grundlage für eine Diskussion. Zumindest habe ich es so während meiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt. Aber dieser Umstand, so habe ich in dieser Woche wieder einmal feststellen müssen, ist in der Medienwelt noch nicht angekommen.
Weil das Projekt ein ordentliches Brett zu bohren ist, habe ich eine Kollegin ins Boot geholt. Sie macht sich Gedanken über die Preise, wir sprechen darüber und sie schickt auch das Angebot ab. Und sie hat den Hut auf, wenn es denn klappt. Am Ende haben wir die Preise zu Papier gebracht, die Kollegin hat es sauber auf ihr Geschäftspapier geschrieben und abgeschickt. Per Mail natürlich, es soll ja zügig gehen. Parallel dazu habe ich den Termin für ein Meeting vereinbart.
Doch es kommt alles anders: Wir warten einen, zwei, drei Tage, ohne dass etwas vom potenziellen Geschäftspartner zu hören oder zu lesen ist. Am Vormittag bekommt die Kollegin eine Mail. Inhalt: „…vielen Dank für Ihr Angebot und die Mühe, die Sie sich damit gemacht haben. Leider kommt es für uns jedoch nicht in Frage. Dennoch war es sehr schön, Sie kennenzulernen.“ Minuten später wird auch das vereinbarte Meeting gestrichen. Begründung: „Mir ist leider etwas dazwischen gekommen.“
Was lehrt uns das? Erstens ist ein Anruf immer persönlicher, zweitens ist solch ein Vorgehen unseriös und drittens hat die andere Seite den Sinn eines Angebots nicht verstanden. Aber so ist es leider in der Medienwelt.